Die Kadenz und ihre Funktionen

Der Musiktheoretiker Hugo Riemann (1849-1919) wendete sich von der Vorstellung ab, daß die Wirkung von Musik hauptsächlich von physikalischen Vorgängen beim Hören herrühre, wie die Wissenschaftler Helmholtz ("Lehre von den Tonempfindungen", 1863) und Carl Stumpf ("Tonpsychologie", 1883-1890) vor ihm glaubten. Riemann war vielmehr der Ansicht, daß das Musikhören eine "Betätigung von logischen Funktionen des menschlichen Geistes" sei, und entwickelte in den Jahren um 1900 eine Art "musikalische Grammatik", die er von der sprachlichen Grammatik ableitete.

Dieses System, mit dem Riemann die Musik bis 1900 erklärte, dient noch heute als Grundlage für die Musik- und Harmonielehre. Die Begriffe Tonika, Dominante und Subdominante wurden zwar schon vor Riemann benutzt, er baut sie aber nun in ein festes hierarchichisch geordnetes System ein, vergleichbar den Begriffen "Haupt- und Nebensatz, Subjekt und Prädikat" aus der sprachlichen Grammatik. Seit Riemann ist das System von zahlreichen Musiktheoretikern abgewandelt und erweitert worden. Auch die Schreibweise der Funktionskürzel ist nicht einheitlich.

Die in einem Musikstück vorkommenden Harmonien erhalten die Bezeichnung Funktionen. Diese Funktionen werden durch ihre Beziehung untereinander und ihre hierarchische Ordnung definiert. Dabei steht die Tonika, die Grundtonart, im Mittelpunkt, und ist nur selbstbezüglich. Die nächstwichtigen Harmonien, auf der IV. und V.Stufe, erhalten die Funktionsbezeichnungen Subdominante und Dominante. Diese drei Hauptfunktionen haben Nebenfunktionen (Paralleltonarten), die die Hauptfunktionen unter bestimmten Bedingungen ersetzen können.

Das System der Funktionen ist mit einem Planetensystem vergleichbar:

Die Tonika steht als Zentralgestirn in der Mitte: T
Subdominante und Dominante sind kreisende Planeten, die sich in einem stabilen Ausgleich von Fliehkraft und Anziehungskraft befinden.
S, D

Subdominante und Dominante können wiederum von "Planeten" umkreist werden („Binnenkadenzen", „Zwischendominanten")
(D)D, (D)S, S(S), D(S)
Jede der drei Hauptunktionen hat als „Doppelstern" eine Parallelfunktion
Tp, Sp, Dp

 

Diese Vorstellung dient nur zur Verdeutlichung und ist sicher nicht vollständig auf das Musikhören übertragbar. Auch sind hier nur die Funktionen in Dur aufgeführt.

Sie können sich den Planeten-Vergleich auch in einem bewegten Bild ansehen: planeten.

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